In unregelmäßigen Abständen werden auf Pop Sub Hoch Gegen unter dem Titel »15 Minuten« Gespräche zu verschiedenen Themenstichworten veröffentlicht. Das zeitlich begrenzte Format eines 15minütigen Dialogs kann dabei Formen des Improvisierten, Assoziativen und Heuristischen annehmen und widmet sich jeweils Begriffen oder Phänomenen, die im weitesten Sinne unter Bezug auf Subkulturen und/oder Popkulturen beschrieben werden können.
Nach Gesprächen zum Thema »Punk« und zum Thema »Militanz« diskutieren Hans Ulrich Reck und Konstantin Butz während der dritten »15 Minuten« das Thema »Amerika (Norden)« im Bezug auf die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016.
Konstantin Butz: Während unserer heutigen »15 Minuten« soll es um »Amerika« gehen, womit in diesem Fall die USA gemeint sind. Wir wollen uns über die Präsidentschaftswahl unterhalten und über Donald Trump sprechen. In einem kurzen Vorabgespräch haben wir schnell gemerkt, dass sich die Wahl Trumps sehr gut im Hinblick auf unsere Thematik und unser Interesse an Sub- und Gegenkulturen betrachten lässt. Trump scheint selber in erhöhtem Maße etwas Widerständiges zu verkörpern und damit in gewisser Weise eine Eigenschaft zu repräsentieren, die von vorne herein zum Gründungsmythos der USA gehört. Gegenkulturen und individuelles Freiheitsstreben spielen dort eine enorm wichtige Rolle.
Hans Ulrich Reck: Das ist richtig und für das, was wir in diesem Zusammenhang diskutieren möchten, ist es natürlich besonders interessant, dass just zu einer Zeit, in der Donald Trump in der Politik aufsteigt, der Literaturnobelpreis an Bob Dylan verliehen wird. Damit wird ehemalige Counterculture zur Hochkultur verklärt.
Butz: Wie Sie sagen, spiegelt sich in Bob Dylan jemand, der von der Counterculture kommend nun in der absoluten Hochkultur etabliert ist und damit praktisch beide Bereiche in einer Person vereint. Die bei Dylan verschmelzenden Pole von etwas wie »Subkultur« auf der einen Seite und »Mainstream« beziehungsweise »Establishment« auf der anderen Seite scheinen in der aktuellen Berichterstattung – gerade bezüglich des darin bestehenden Antagonismus – wieder Konjunktur zu haben. Zumindest im Wahlkampf selber ist das stark aufgefallen. Dort ging es von Trumps Seite aus verbal immer ganz klar gegen ein Establishment oder auch einen politischen Mainstream. Während in der Subkulturforschung Begrifflichkeiten wie »Subkultur« oder »Mainstream« in den letzten Jahren eher kritisch betrachtet und – teilweise als in einem zu starren und unflexiblen Dualismus verhaftet – hinterfragt wurden, machte Trump mit einer ganz klaren Abgrenzung vom Mainstream Wahlkampf. Das heißt natürlich keineswegs, dass er inhaltlich einer solchen Programmatik standhalten würde, sondern zeigt nur, wie er sich die Symbolkraft des politischen Außenseiters rhetorisch zu Nutze macht. Das legt die Frage nahe, inwiefern in den USA Thematiken, die sich um einen Begriff wie »Subkultur« gruppieren lassen, eine ganz andere Aktualität aufweisen, als innerhalb von (zum Beispiel) Popdiskursen. Trump ist auf ganz klare Abgrenzungen angewiesen.
Reck: Er hat ja auch, zumindest einige, Charakterzüge gemeinsam mit Punk.
Butz: Das hat auch schon der Schriftsteller T.C. Boyle festgestellt. Er hat Trump als Punk bezeichnet, gleichzeitig aber auch darauf hingewiesen, dass er keinen Punk als Präsident haben möchte.
Reck: Das wusste ich bisher gar nicht. Aber es stimmt: Dieses Antizivilisatorische, diese Verwerfungen, dieses Rumpöbeln, diese wirklichen Schamlosigkeiten, dieses Grenzenlose in Bezug auf etwas, was man dann nicht mehr nur Polemik nennt, sondern wirklich Aufkündigung von zivilisiertem Verhalten, von Höflichkeit und vom Anerkennen von Regeln, das hat ganz viel damit zu tun: Trump als Figur, bei der alles Lüge ist, Hohlheit, falsches Pathos, jederzeitige bedingungslose Anmaßung und Pose, ein Knallchargieren übelster Sorte, aber zugleich auch die proletkultische Inkorporation des Leninschen Versprechens, jede Köchin müsse den absterbenden Staat lenken können. In den USA sind die proletkultmäßig geprägten Köchinnen nun eben faschistische, verrottete Milliardäre. Nun würde ich das nicht unbedingt als Subkultur bezeichnen, sondern eher als subzivilisatorisch: als ein Hass auf Zivilisation. Ich glaube, das hat deutlich etwas mit den Menschen gemacht und ich glaube auch, dass das nicht zufällig ist. Alles was Trump sagte, waren Lügen, weil er ja nicht wirklich gegen das Establishment ist oder dies überhaupt sein könnte. Das sieht man überdeutlich an der Regierungsbildung in diesen Tagen und Wochen. Das sind alles Lobbyisten, nur eben andere als vorher. Die Frage bleibt jedoch: Wie kann so jemand für das Anti-Establishment stehen? Also für dieses gegenkulturelle Motiv, dieses Gegenzivilisatorische? Ich denke das liegt daran, dass es inzwischen einen weit etablierten Konsens oder festgefahrene Routinen gibt, wie man von Seiten des politischen Establishments Politik, Ideologie, Moral und vielleicht auch Ökonomie denkt. Ich glaube wirklich, dass es eine formierte politische Macht gibt. Der Clinton Clan ist extrem mächtig und hat dafür gesorgt, dass kein Kandidat, der gegen Trump gewonnen hätte, überhaupt ins Spiel kam. Das waren zum Beispiel Bernie Sanders, der zu links war und den man skrupellos herausgedrängt hat oder Joe Biden, der selber gesagt hat, dass er kein Standing gegen die Macht des Clinton Clans hat und deshalb antizipatorisch verzichtet. Das heißt, dieses ganze Spiel politischer Meinungen und politischer Profilierung ist so extrem eingeschränkt, dass man sagen kann, das ist ein Dispositiv von Macht, das um den Clinton Clan herum existiert. Wenn das das Establishment ist, dann kann man verstehen, dass ein Medienfaschist wie Trump – quasi als radikaler Punk – gegenkulturelle Zustimmung findet. Ich weiß auch gar nicht, ob die Leute sich wirklich das von ihm erwarten, was er behauptet. Das Problem ist ja paradox: Die Leute, die jetzt über Trump berichten, sind ja in der Regel auch eingeschliffen routinierte Anhängsel von diesem Machtpositiv der Clintons. Wie das von dieser Seite kommentiert wird, ist ja in sich paradox. Man beklagt – was ich im übrigen auch beklage –, dass jetzt alles ganz gefährlich wird. Aber wie lässt sich das wirklich verstehen, wieso ein systemischer Umschlagpunkt erreicht ist, wieso ein etabliertes System so umschlägt? Man fragt sich: Sind denn die USA eigentlich eine Demokratie oder ist da nur so getan worden?
Butz: Um das Ganze noch deutlicher einzuordnen und vielleicht auch in Bezug zu einem historischen Kontext zu setzen, würde ich an dieser Stelle gerne eine kurze Passage aus Jean Baudrillards Buch »Amerika« zitieren. Das französische Original, »Amérique«, ist 1986 erschienen, also genau vor 30 Jahren, erweist sich aber in unserem Kontext als ausgesprochen aktuell und legt nahe, dass die Geschehnisse, die wir hier diskutieren, in sehr ähnlicher Weise schon einmal vorgekommen sind. Baudrillard schreibt über Ronald Reagan, der kurz vor Veröffentlichung von »Amérique« seine zweite Amtszeit als Präsident begonnen hatte:
Reagans Erfolg liegt genau in diesem Versuch, die primitive amerikanische Szene als Trugbild wiederauferstehen zu lassen. America is back again. […] Amerikaner haben wie viele andere keine Lust, sich die Frage zu stellen, ob sie an die Verdienste ihrer Machthaber und an die Realität der Macht glauben oder nicht. Das ginge viel zu weit. Sie tun lieber so, als glaubten sie daran, unter der Bedingung, daß man ihre Gläubigkeit gut verwaltet. Regieren heißt heutzutage, glaubwürdige Zeichen auszusenden. Wie in der Werbung erhält man immer denselben Effekt, alles hängt von dem wie auch immer gearteten politischen oder werbewirksamen Szenarium ab. […] Da die Gesellschaft endgültig zu einem Unternehmen geworden ist, geht es nur mehr um ein Zusammenspiel von Performance und Unternehmensführung, die Vorsitzenden müssen die werbewirksamen Zeichen des look produzieren. (Baudrillard, Amerika. München: Matthes & Seitz, 1987: 153-155)
Diese Textstelle ließe sich fast eins-zu-eins nutzen, um Donald Trump zu beschreiben. Wo Baudrillard die Textzeile »America is back again« einbringt, hat Trump mit dem Slogan »Make America great again« Wahlkampf betrieben. Trump ist Unternehmer und auch er sendet in erster Linie Zeichen aus. Er verkörpert einen gewissen look und erreicht damit Menschen, die ihn in erster Linie an diesem Zeichenhaften messen und nicht an tatsächlichen politischen oder gesellschaftlichen Verdiensten.
Reck: Das ist eine gute Stelle aus diesem Buch von Baudrillard, das mich im übrigen damals sehr beeindruckt hat. Baudrillard hatte ein seltsames Schicksal als jemand, den eigentlich niemand so ganz ernst genommen hat, weil er es immer übertrieben hat. Er hat extrem zugespitzt geschrieben und dabei sind zum Teil brillante Thesen herausgekommen. Das Prinzip der Zuspitzung bis zur Übertreibung hat ihn allerdings in die Position gebracht, als jemand zu gelten, der empirisch nicht ernst zu nehmen ist. Das Buch und auch Baudrillards andere Texte über die USA könnten aber gerade deshalb so ungeheuer aufschlussreich sein, weil dieses Prinzip der übertriebenen Zuspitzung in den USA auf ähnlich geartete empirische Verhältnisse und Analysegegenstände trifft. Dass sich ein Donald Trump in Manhattan einen eigenen Tower baut, ist ja an sich schon ein Zeichen obszönster Überspitzung – »obszön« wirklich im Sinne von Baudrillard, weil das Zeichen nur noch für sich selber steht.
Butz: In ihrer Wirkmächtigkeit deuten die Zeichen bei Trump ja alle sehr explizit auf Erfolg beziehungsweise eine Erfolgsgeschichte hin. Als Milliardär greift er in seinem Auftreten den Mythos »vom Tellerwäscher zum Millionär« auf, ein Mythos, den Sie ja bereits durch den Bezug zu Lenins Versprechen von der Köchin, die den Staat lenken könne, angedeutet haben. Allerdings war Trump natürlich niemals auch nur ansatzweise eine Köchin oder ein Tellerwäscher. Er bedient durch sein Auftreten lediglich dieses Narrativ, weil er eben nicht so redet, wie man es von Menschen in seiner Position und mit seinem Sozialisationshintergrund gewöhnt ist. Er geriert sich als Macher. Als pragmatischer Geschäftsmann und nicht als Politiker. Damit verkörpert er eine Form von Pragmatismus, die sich ebenfalls in die amerikanische Mythologie einordnen ließe: Pragmatismus als etwas sehr Amerikanisches. Trump scheint sich in dieser Weise zu positionieren, wobei das zugegebenermaßen einen sehr viel zu kurz greifenden Begriff von Pragmatismus darstellt. Als Philosoph können Sie diesbezüglich sicherlich sehr viel präziser sein. Vielleicht kann das aber auch noch einmal mit Baudrillard gefasst werden, der – ebenfalls in »Amérique« – sagt:
Nur wir [Europäer] stellen uns vor, daß alles auf Transzendenz hinauslaufen muß und daß sich außerhalb dieses Begriffs nichts denken läßt. Die Amerikaner kümmern sich nicht nur nicht darum, sie haben vielmehr genau die umgekehrte Perspektive. Sie wollen nicht die Wirklichkeit auf den Begriff bringen, sondern den Begriff und die Ideen verwirklichen. (ebd. 120-121)
Da schwingt für mich eine Form von Pragmatismus mit, den Trump zu verkörpern scheint und mit dem er die Leute erreicht. Es hat den Anschein, als setze er sich nicht mit Konzepten auseinander, sondern ausschließlich mit unmittelbaren Handlungen. Mögen diese Handlungen noch so absurd anmuten, er mobilisiert damit Wähler und präsentiert sich als authentischer Amerikaner.
Reck: Er muss eine Projektionsfigur sein, eine Figur, die man projektiv besetzen kann, ein leeres Zeichen. Wenn es ihm tatsächlich um Programme und Ideologie ginge, würde das nicht gehen. Er hat ja eigentlich auch nur eine Aussage, und zwar: »Make America great again«. Das wird ständig wiederholt, heißt aber eigentlich gar nichts. Wenn man es symptomatisch anschaut, sind sein Erfolg und das Scheitern seiner Kontrahentin beides identische Symptome der Krise des gesamten Systems, bis hin zu der Frage, was das denn für eine Demokratie ist. Der philosophische Pragmatismus entwickelte sich aus der gloriosen Vergangenheit und dem Großartigen und Beeindruckenden am Amerika des 18. Jahrhunderts mit Thomas Paine, den Menschenrechten und der wirklichen Aneignung der europäischen Aufklärungsphilosophie und dem Primat der Zivilisation. Das ist ein Pragmatismus, der eben nicht Metaphysik braucht, sondern liberalen Konsens als Zustimmung zur Vernunft des kommunikativen Handelns. Es ist ein US-amerikanisches Prinzip, das diese Zivilisation ausmacht. Jetzt kommt mit Trump jemand, der ist weder Pragmatiker noch Pragmatist, sondern verspricht Erfolg oder behauptet diesen zumindest. Das ist Praktizismus. Das hat mit der großartigen Tradition des amerikanischen Pragmatismus, wie auch dem kleiner gestrickten Tun der Pragmatik, kaum etwas zu tun.
Butz: Lässt sich ein ähnlicher Praktizismus nicht auch in Europa beobachten?
Reck: Wir erleben heute einen Bruch. Vor zwei Jahren hätte ich mir auch nicht gedacht, dass man mit Russland noch mal in so ein bedrohliches Gefüge kommt und ich hätte auch nicht gedacht, dass es in Europa so viele Menschen gibt, die in verblendeter Unverschämtheit einfach so hinnehmen, dass es jetzt zum ersten Mal in der europäischen Geschichte 60 Jahre keinen Krieg gegeben hat. Ich lehne die Brüsseler Bürokratie auch ab – bis zum Abscheu, wenn man so will –, aber man muss doch tatsächlich die Dimensionen noch wahrnehmen und nicht einfach alles zerstören. In einer solchen Zeit kommt auf der anderen Seite des Atlantiks das Phantom oder das leere Zeichen einer verhunzten und depravierten Counterculture in der Person von Donald Trump natürlich auch in die Paradoxie. Er ist zwar »Punk« gegen die Zivilisation, aber er sagt nicht »No Future!«, wie die frühen Punks es getan haben. Die Radikalität zu sagen, es sei alles vorbei und deshalb machen wir jetzt alles kaputt, was Konventionen sind, weil wir ohnehin keine Zukunft haben und wir leben das und antizipieren das Nicht-Zukunft-Haben im Hier und Jetzt, diese Radikalität hat er nicht. Während das etablierte politische System nun diesen ganzen Zerfall der US-amerikanischen Demokratie – und nicht die Alternative dazu – verkörpert, ist Trump weder Punk noch Counterculture. Aber er trägt eben Züge davon. Trump ist ein Pseudo-Punk, der vom Punk aber nicht die Bereitschaft zum »No Future« und zur Selbstauslöschung übernommen hat, sondern nur die antizivilisatorischen Rüpeleien.
Das Gespräch fand am 22.12.2016 an der Kunsthochschule für Medien Köln statt.