In unregelmäßigen Abständen sollen auf Pop Sub Hoch Gegen unter dem Titel »15 Minuten« Gespräche zu verschiedenen Themenstichworten veröffentlicht werden. Das zeitlich begrenzte Format eines 15minütigen Dialogs kann dabei Formen des Improvisierten, Assoziativen und Heuristischen annehmen und widmet sich jeweils Begriffen oder Phänomenen, die im weitesten Sinne unter Bezug auf Subkulturen und/oder Popkulturen beschrieben werden können.
Nach Gesprächen zum Thema »Punk«, zum Thema »Militanz« und zum Thema »Amerika (Norden)« diskutieren Hans Ulrich Reck und Konstantin Butz während der vierten »15 Minuten« das Thema »Gilets Jaunes, Gelbwesten« und die damit verbundenen Protestversammlungen, die seit Herbst 2018 in Frankreich stattfinden.
Konstantin Butz: Wir sprechen heute über die Bewegung der „gilets jaunes“, also der sogenannten »Gelbwesten« in Frankreich und sind eigentlich aus tagesaktuellen Gründen dazu gezwungen mit den Geschehnissen der letzten beiden Tage (15./16. April 2019) einzusteigen, nämlich der brennenden Notre-Dame de Paris. Es ist interessant, dass innerhalb weniger Stunden nach Bekanntwerden des Feuers in der Kathedrale aus der französischen Privatwirtschaft Zusagen gemacht wurden, dass man sich finanziell für den Wiederaufbau einsetzen wolle. Die letzte Zahl, die ich dazu gelesen habe, belief sich auf 800 Millionen Euro. Wie könnte das politisch eingeordnet werden, gerade im Angesicht der Proteste, die in den letzten Monaten in Frankreich stattgefunden haben und bei denen gegen prekäre Lebenssituationen protestiert wurde? Am Ende geht es ja auch bei der Bewegung der »Gelbwesten« um finanzielle Fragen.
Hans Ulrich Reck: Das ist natürlich ein sehr komplexer, aber auch überaus berechtigter Einstieg in das Thema. Es beginnt mit der Frage, wieso die Privatwirtschaft sich sofort für den Wiederaufbau von Notre-Dame de Paris stark macht. Wieso wird von dort so viel gespendet? Und wird auch für andere Belange gespendet? Sicher spendet man für Kunst, das Fördern von Künstlern allemal, aber über Spenden mit Bezug auf andere Anliegen, wie zum Beispiel diejenigen von Flüchtlingen und die Katastrophe im Mittelmeer, habe ich nie etwas gehört. Ich glaube auch, dass da ganz schnöde, andere Überlegungen dahinter stecken: Einmal ist der Werbeeffekt bei so einer Spende natürlich gigantisch und außerdem ist es schlicht auch eine Einsparung. Ich glaube, dass die Absetzung von den Steuern in Gestalt dieser Spenden den Staat am Ende mehr kosten könnte, als wenn er das Geld direkt zahlen würde. Die Unternehmer aus der Privatwirtschaft machen das jedenfalls nicht altruistisch. Das ist ähnlich, wie wenn amerikanische Milliardäre, die auch keine Steuern bezahlen wollen, direkt bestimmen, was mit ihrem Geld geschehen soll. Das ist natürlich ein Modell, das diskutiert werden kann und es ist auch nicht evident, dass die öffentliche Hand in Gestalt des Staates die höhere Rationalität besitzt, als Individuen, die Geld für etwas geben, was sie dann auch bestimmen. Aber in Tat und Wahrheit ist das natürlich eine Gewinnsituation für die, die das anbieten.
Man müsste aber auch fragen, was das Ganze wirklich für eine Bedeutung hat. Wieso kommt das in einem Moment, in dem die Krise der französischen Nation so groß ist, dass eigentlich anderes anstünde? Das ist eine seltsame Koinzidenz. Man hat das Gefühl, alles andere wird jetzt durch so ein Empfinden zugedeckt. Wenn die Leute anfangen Gefühle zu haben – koordiniert auch durch die Medien, denen nichts anderes einfällt, als diese Gefühle zu fördern und abzufragen –, dann hat man plötzlich den Eindruck, es wird ein großes Ablenkungsmanöver vom Stapel gelassen. Ich meine das nicht verschwörungstheoretisch, aber so ein Unglück ist natürlich einladender, sich als Nation zu regruppieren denn ein sozialer Konflikt, vor allem ein so aggressiver sozialer Konflikt. Am Ende ist das Aufsehen um Notre-Dame de Paris ein fetischistisches, lächerliches Theater, das gespielt wird. Alle sind betroffen und jetzt wird die große Einigung der Franzosen beschworen.
Butz: Wie sehen Sie denn generell die Wirkmächtigkeit der »Gelbwesten«? Besteht dort Potential für einen emanzipatorischen gesellschaftlichen Umbruch oder ist das Ganze schon von vorne herein von politischen und insbesondere rechten Ideologien korrumpiert?
Reck: Ich glaube nicht, dass die »Gelbwesten« irgendeine emanzipatorische Perspektive haben, von Anfang an nicht. Ich glaube auch nicht, dass die Bewegung nur durch die Rechten korrumpiert ist oder ein Tarnspiel für sie war. Nimmt man die Forderungen ernst, die von vornherein auf dem Tisch lagen, dann geht es darum, dass das Geld nicht reicht. Ich will dazu jetzt gar nicht argumentieren, weil es tatsächlich viele Fälle gibt, wo schlicht das Geld nicht reicht, wiewohl der französische Staat sehr viel alimentiert und sehr viel bezuschusst, aber wahrscheinlich auch am falschen Ort. Viel wichtiger ist allerdings, was darüberhinaus zum Ausdruck kam, nämlich das Gefühl der Zurückgesetzten, der Verlorenen, der Missachteten. Das Gefühl missachtet worden zu sein. Das kann ich immanent nachvollziehen, denn die französische Provinz – das heißt etwa 90 Prozent des Landes – sind über Jahrzehnte komplett vernachlässigt worden und zwar auf allen Ebenen. Man hat zuletzt auch das Geld für die Schulen zurückgefahren und das Geld für die Infrastruktur. Man hat den ganzen öffentlichen Verkehr liquidiert. Es gab zum Beispiel, bis vor wenigen Jahrzehnten noch, ein feinmaschiges Bahnnetzt in Frankreich, das nicht mehr existiert. An diesen Dingen hat sich der Konflikt entzündet. Dass die Benzinpreise erhöht werden sollten, um eine Ökosteuer einzuführen, war dann der eine Schritt zu viel: Wenn man den Leuten keine Infrastruktur gewährleistet, kann man auch nicht erwarten, dass sie aus der eigenen Tasche den gesellschaftlichen Fortschritt bezahlen sollen. Der Frust darüber ist nachvollziehbar. Dahinter steckt auch keine gewerkschaftliche Forderung. Die Gewerkschaften sind Organisationssysteme der Besitzenden, also derjenigen, die Arbeit und Einkommen haben. Hier haben sich jetzt aber diejenigen artikuliert, die nichts haben und die nicht organisiert sind. Das ist das Interessanteste an dieser Bewegung, dass sie sich am Anfang unterhalb aller bisher bekannten Organisationsformen selbst organisiert hat. Und zwar – das muss man auch dazu sagen – mit Hilfe eines neuen Kommunikationsmittels: dem Smartphone. Man hat den Menschen ein Gerät gegeben und gesagt: »Seid autonome Konsumenten! Installiert eure Apps! Bestellt, macht und tut!« Das sind dann autonome Subjekte im bildungsbürgerlichen Sinne und es gilt: »Wenn ihr wählt, was ihr kaufen wollt, seid ihr autonom.« Aber plötzlich wird nun dieses Gerät für etwas anderes gebraucht, so dass man es eigentlich wieder einsammeln müsste, denn dafür war es nicht gedacht. Es war nicht dafür gedacht, dass sich Menschen organisieren, um Fragen zu stellen, die nicht vorgesehen sind.
Ausschlaggebend für die Bewegung der »Gelbwesten« waren also zwei Dinge: die soziale Empörung und die Möglichkeit sich zu organisieren. Die Bewegung war aber nicht auf Emanzipation angelegt; das war gar nicht der Horizont. Es gab die Forderung nach mehr Geld und in dieser Hinsicht eine Verteidigungs- oder Rückgewinnungsbewegung, wenn man es gutwillig sehen möchte. An diese Bewegung haben sich dann all diejenigen angedockt, die, auch aus ganz anderen Gründen und ideologisch viel formierter, eine Aversion gegen ganz Unterschiedliches hatten. Das waren Rechtsradikale und Linksradikale. Aus diesen Gruppierungen heraus erfolgte dann nur noch Zerstörung und das ist für eine soziale Bewegung natürlich eine gewaltige Konsternation, wenn sie nichts anderes zu Stande bringt als Zerstörung.
Butz: Linke französische Intellektuelle wie zum Beispiel der Soziologe und Philosoph Didier Eribon haben kritisiert, dass – insbesondere auch in der deutschen Presse – die »Gelbwesten« aufgrund der bei den Protesten zu beobachtenden Ausschreitungen sowie der homophoben und rassistischen Tendenzen diskreditiert werden würden, ohne dabei dem produktiven Moment Tribut zu zollen, der entsteht, wenn auf einmal Gruppierungen Seite an Seite protestieren, die sich sonst eher feindlich gegenüberstehen (→). Da demonstrieren beispielsweise Aktivistinnen und Aktivisten des antirassistischen Komitees Adama neben sehr konservativen wenn nicht gar plump homophoben oder rassistischen Gruppen und für einen kurzen Moment scheint auch hier Solidarität möglich zu sein. Liegt darin nicht die Chance der Gelbwestenbewegung, dass dort – zumindest ephemer – Solidarität zwischen Gruppen entstehen kann, die sich ansonsten sehr suspekt sind?
Reck: Da ist etwas dran. Es waren ja beispielsweise auch sehr viele Rentner dabei. Für die war auch der gesellschaftliche Aspekt zentral: das Zusammensein und die sozialen Kontakte. Das war ein wichtiges Element und das ist vollkommen unterschieden von den Aktionen derjenigen, die in der Innenstadt von Paris, Toulouse oder Bordeaux wirklich massiv und unter dem Deckmantel der »Gelbwesten« auf Zerstörung aus waren. Diese Zerstörungslust ist jedenfalls nicht bewegungsspezifisch.
Butz: Die Bilder, die neben den Ausschreitungen auch zu sehen waren und sich außerhalb von Paris abspielten, finde ich in der Tat nicht unwichtig: Dort kommen, häufig an Kreisverkehren, völlig generationenübergreifend Menschen zusammen und begegnen sich. Wie Sie schon sagten, sind dort Rentner, aber auch jüngere Leute und Menschen mit den unterschiedlichsten beruflichen Hintergründen beteiligt. Gerade die Reaktionen der jüngeren Generationen auf diesen gesellschaftlichen Moment finde ich spannend. In einem Interview mit der Autorin Virginie Despentes, die mit der Romantrilogie um ihren Protagonisten Vernon Subutex ein vielschichtiges Portrait der französischen Gesellschaft vorgelegt hat, habe ich gelesen, dass sie große Hoffnungen in die Jugend hegt, eine Jugend, die nun auch wieder auf die Straße geht. Für Despentes bilden im Hinblick darauf die Gelbwesten erst den Anfang zu dem nun auch noch die ökologischen Fragen der Jugendlichen kommen, wie wir es auch hierzulande und in anderen europäischen Staaten beobachten können. Es wäre ja zumindest eine Hoffnung, dass hier politisch etwas wirklich Wichtiges und Produktives entstehen kann und eine junge Generation die Straße als Ort der selbstbestimmten Einflussnahme wiederentdeckt.
Reck: Das ist interessant. Ich bin mir allerdings nicht sicher, wie stark diese Klimabewegung der Jugendlichen in Frankreich wirklich schon ist. Sie beginnt dort natürlich auch, aber das wäre eine komplett andere Bewegung. Die »Gelbwesten« sind im Grunde die Reaktion einer gescheiterten Geschichte auf sich selbst. Das ist komplett ausweglos. Deshalb persistiert das auch so. Es gibt einfach keine Perspektive. Es wird nichts Konkretes artikuliert oder gefordert, außer die Erhöhung der Kaufkraft. Das ist in Frankreich immer ein besonderes Thema: pouvoir d’achat, Einkaufen können. Wie bereits gesagt: Es geht letztendlich ums Geld. Und das mischt sich dann mit dem Aufbegehren gegen die Eliten. Auch Emmanuel Macron kommt aus diesem Elitesystem. Ich befürworte Macrons politische Einstellung überhaupt nicht; ich bin kein Neoliberaler und ich glaube nichts davon: ich glaube nicht daran, dass man Investoren gewinnen muss, die im Land investieren und dadurch Arbeitsplätze schaffen. Aber ich habe beobachtet, was Macron im Zuge der Gelbwestenproteste gemacht hat und das war zum Teil wirklich bewundernswert. Es ist schön einen gebildeten Menschen zu haben, der sein Amt tatsächlich ernst nimmt und der auch ernst genommen hat, was ihm da entgegenschlug. Es gab zum Beispiel eine Diskussion, die er im Élysée gemacht und zu der er 65 intellektuelle Akademiker eingeladen hat (→). Der erste, der dort geredet hat war brillant. Das war Pascal Bruckner, der mehrere sehr gute Texte zu den »Gelbwesten« geschrieben hat, in denen er den schwierigen Dissens, also ein gesellschaftliches Gebrochen-sein, erörtert und das auch in einen breiten Kontext stellt. Der hat diese Diskussion unter 65 Akademikern aus unterschiedlichsten Sparten eröffnet und Macron hat da wirklich zugehört, die Dinge verstanden und geantwortet. Das hatte fast eine monströse Dimension, wie er das durchgehalten hat. Das wurde live übertragen – im Radio ›France culture‹, es begann um 18.15 Uhr und endete um 2.30 Uhr: Es ging also acht Stunden non-stop! Das war bis zum Schluss eine Debatte auf höchstem Niveau. Ich erzähle das aber nicht als Heroismus, sondern eher als Tragödie, denn die »Gelbwesten« haben das dann als elitistisches Geschwätz und als »Elite unter sich« kritisiert. Diese bekannten Vorurteile wurden da natürlich bestätigt. Es wurde gefragt: »Wer tut eigentlich etwas für uns?«
In diesem Zusammenhang muss ich an einen Roman von H. G. Wells denken, der im Prinzip einige Punkte vorwegnimmt, die auch die hier zugrundeliegende Situation bestimmten. In den späten 1930er Jahren reiste Wells durch Europa und hat über die Mechanisierbarkeit und dann auch demokratische emanzipatorische Verbreitung des Gedächtnisses geredet und einen schönen Band zu seinen Vorträgen gemacht, der unter dem wunderbaren Titel World Brain erschien. Er hat in dieser Zeit auch den Faschismus beobachtet und 1939 dann den Roman The Holy Terror veröffentlicht. Darin geht es um einen komplett empathielosen jungen Menschen, der die Welt umkrempelt. Was Wells in dem Roman beschreibt, trifft interessanterweise ganz gut die Position der »Gelbwesten«, nämlich einfach die Politik des »gemeinen Mannes« der sagt: »Es hat alles nichts gebracht, die Welt ist zerrissen, sie leidet unter zu großem Druck, kein Problem ist gelöst und deshalb müssen wir jetzt die Zivilisation zerstören.« Die Zerstörung ist das einzige, was übrig bleibt. Der Protagonist des Romans gründet die internationale Bewegung des »gemeinen Mannes« (»Common Man’s Party«) und dieser »gemeine Mann« erhebt sich dann und schlägt alles kurz und klein und setzt zum Sturm auf diese Zivilisation an, die nun mal zerschlagen werden muss, damit das Leben überhaupt wieder gelebt werden kann. In dieser ganzen Banalität steckt eigentlich das Programm der Barbarei. Das könnte man bei dem italienischen Schriftsteller und Journalisten Alessandro Baricco in seinem wichtigen Buch Die Barbaren: Über die Mutation der Kultur (2018 auf dt. erschienen) nachlesen. Dort hat er sehr schön beschrieben, was diese neue Barbarei beinhaltet. Das würde jetzt hier zu weit führen, aber ich sehe durchaus Parallelen zu Teilen der Bewegung der »Gelbwesten«.
Butz: Ist die Zerstörung, von der hier die Rede ist, denn als tabula rasa gemeint? Geht es darum, wirklich wieder neu und bei Null anzufangen oder geht es um pure Destruktion aus reiner Hilflosigkeit?
Reck: Das eine geht in das andere über. Die »Gelbwesten« kämpfen eigentlich für die Herstellung eines »Normalzustandes«, also eines inerten, eines trägen Normalzustandes ohne Exzesse. Das ist im Grunde die Herrschaftsform des Ideologielosen und der reinen Selbstversorgung. Die Gelbwesten haben kein politisches Programm. Was sich artikuliert, ist einfach der Wunsch nach vermeintlicher Normalität. Sie wollen, vielleicht als erste Kontestationsbewegung überhaupt, in Frankreich nicht die Revolution, sie wollen den guten, kundigen Führer und einen starken Staat – dies aber nicht als politische Subjekte oder zu politischen Zwecken, sondern als schlichte Konsumenten. Sie wollen versorgt werden – in jeglicher Bedeutung des Wortes. So wie es früher schon König Heinrich IV versprochen hat: Jeder Franzose muss am Sonntag sein Huhn im Topf haben. Dann ist das Leben okay. Dazu fällt mir noch etwas ein, das ich abschließend kurz vorlesen möchte. Es geht um eine Äußerung von Charles de Gaulles, die sehr interessant ist. Ich habe dies kürzlich in einem französischen Presse-Magazin gelesen und übersetze es hier frei. Es hieß dort, de Gaulle habe in einem Moment völliger Niedergeschlagenheit Folgendes über seine Landsleute gesagt: »Der Neid ist unser Nationales Laster. Es ist das Gefühl der Besiegten und der Hasserfüllten. Es ist das Verbrechen Kain gegen Abel, desjenigen der alles in den Sand gesetzt hat und dem alles missraten ist und der den Nachbarn tötet, weil der Erfolg gehabt hat. Das ist der Zorn der Verlierer. Und das sind wir Franzosen.« Das hat de Gaulle gesagt, was schon bemerkenswert ist. Es trifft aber auch die jetzige historische Situation, weil genau das dort aufbricht. Genau das wird artikuliert. Mehr sind die »Gelbwesten« nicht: Es reden die, die nie geredet haben und die es immer schon gab und die niemand hören wollte und die niemand wahrnehmen wollte. Und das ist per se meistens unangenehm und natürlich hat das Bürgertum dann auch Angst davor, dass es angesteckt und selber blind und gewalttätig wird im Zorn auf die Welt.
Butz: Die Frage nach der Wahrnehmung liefert dabei vielleicht ein Stichwort, das es ermöglicht, am Ende noch einmal spezifischer auf die Thematiken zu rekurrieren, die wir bei unseren 15-Minuten-Gesprächen immer mitdenken, nämlich Fragen der Subkultur und des Subkulturellen. Zwar denke ich, dass man beim Thema »Gelbwesten« mit dem Begriff der Subkultur nicht unbedingt weiter kommt, alleine schon aufgrund der Tatsache, dass diese Bewegung doch sehr heterogen bleibt. Allerdings finde ich die Symbolik bemerkenswert, die dabei zwangsläufig ins Auge fällt und sich im namensgebenden Kleidungsstück der Gelbweste manifestiert. Ich erinnere mich an das Symposium zum Thema Subkultur, das wir im Juni 2015 an der KHM veranstaltet haben. Damals hatten wir zur Eröffnung den Musiker und Theatermacher Schorsch Kamerun eingeladen, der den Eröffnungsabend unter den Titel »Sie sollen uns sehen!« stellte; eine Art Credo, das er grundlegend mit jugendlicher Subkultur assoziierte, weil es dort in erster Linie darum geht, wahrgenommen, also gesehen zu werden. Dieses Gesehen-werden gelingt den »gilets jaunes« ja bestens. Sie haben ein hervorragendes Erkennungszeichen gewählt: Die Gelbweste an sich wurde für nichts anderes produziert, als gesehen zu werden, was sie natürlich nicht nur zu einem sehr aussagekräftigen, sondern auch zu einem wirklich funktional effektiven Symbol macht. Von daher hat die Bewegung zumindest Teilerfolge zu verzeichnen, denn sichtbar ist sie. Inwiefern sich daran auch nachhaltige politische Veränderungen anschließen und welche politischen Lager dabei am Ende federführend sein werden, bleibt hingegen opak.
Das Gespräch fand am 17. April 2019 in der Kunsthochschule für Medien Köln statt.